das schnabeltier


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Bild1 Ende des 18. Jahrhunderts erregte das Schnabeltier erstmals die Aufmerksamkeit der westlichen Welt, als George Shaw aus London in "The Naturalists Miscellany" eine Beschreibung veröffentlichte. "Von allen bisher bekannten Säugern", so schrieb er, "scheint es seiner Gestalt nach das ungewöhnlichste zu sein, wartet es doch mit dem perfekten Ebenbild eines Entenschnabels auf, der dem Kopf eines Vierfüssers aufgepflanzt ist... Auf den ersten Blick erweckt dies natürlich den Verdacht, es handele sich um irgendein künstliches, zum Zwecke der Täuschung hergestelltes Tierpräparat."

Shaw nahm an, dass das Schnabeltier aufgrund seiner Schwimmhäute "ein Wasserbewohner sein muss, mit der Gewohnheit, an Flussufern Bauten zu graben oder sich in den Boden einzuwühlen, und dass seine Nahrung aus Wasserpflanzen und -tieren besteht". Er gab ihm den wissenschaftlichen Namen Platypus anatinus (entenähnlicher Plattfuss), der schliesslich - weil der Name Platypus bereits für eine Käfergattung vergeben war - in Ornithorhynchus anatinus (entenähnlicher Vogelschnabel) geändert wurde.

Selbst heutzutage würde ein ungeübter Beobachter dem Schnabeltier sofort ansehen, dass es die Merkmale ganz verschiedener Tiere in sich vereint. Dieses elegant schwimmende und tauchende Geschöpf mit seinem wunderschön weichen Fell hat einen Schwanz ähnlich dem eines Bibers und tatsächlich einen Schnabel ähnlich dem einer Ente. Seine Vorder und Hinterfüsse tragen Schwimmhäute, und obwohl es Milchdrüsen hat und seine Jungen säugt, ist es nicht lebendgebärend, sondern legt Eier. Diese werden - anders als bei Ameisenigeln, der anderen Gruppe eierlegender Säugetiere - nicht in einer Bruttasche, sondern ausserhalb des Körpers ausgebrütet.

Erwachsene Männchen wiegen im Durchschnitt nur 1,7 Kilogramm und messen von der Schnabel- bis zur Schwanzspitze etwa 50 Zentimeter. Weibchen sind noch kleiner: Sie bringen es im Schnitt auf 43 Zentimeter Länge und ein Gewicht von 0,9 Kilogramm. 

Das Schnabeltier ist der einzige lebende Vertreter der Familie der Schnabeltiere (Ornithorhynchidae). Zusammen mit den fünf Arten aus der Familie der Ameisen- oder Schnabeligel Tachyglossidae, die sich auf zwei Gattungen verteilen, bildet es die Ordnung der Kloakentiere oder Monotremata. Namengebendes Merkmal für beide Bezeichnungen ist die einzige Körperöffnung der Tiere - die Kloake für die Ausführgänge der Ausscheidungs- und Geschlechtsorgane.

Der stromlinienförmige Körper des Schnabeltiers ist auf die amphibische Lebensweise zugeschnitten. Unter Wasser schwimmt das dichtbepelzte Tier mit wechselseitig rudernden Vorderbeinen. An Land, beim Laufen und Graben, setzt es seine Krallen ein. 

Vorder- und Hinterextremitäten des Schnabeltiers sind kurz und liegen daher dicht am Körper. Die breite Schwimmhaut am Vorderfuss (links) reicht weit über die Krallen hinaus. An Land wird der überstehende Teil nach innen geklappt, so dass die starken Krallen Bodenhalt bekommen und sich zum Graben der Bauten einsetzen lassen. Der Hinterfuss (rechts) trägt ebenfalls Krallen, die etwa am steilen Uferhang gut Halt geben. Männliche Tiere haben in der Nähe des Fussgelenks einen hohlen Hornsporn, der mit einer Giftdrüse verbunden ist. Er wird bei aggressiven Auseinandersetzungen eingesetzt. Sein Gift kann für Tiere von Hundegrösse tödlich sein und erzeugt bei Menschen qualvolle Schmerzen.

Die Fähigkeit des Schnabeltiers, seine Beute im trüben Wasser aufzuspüren und dabei jeglichem Hindernis auszuweichen, ist bemerkenswert. Denn während der rund anderthalb Minuten unter Wasser ist es praktisch völlig von der Aussenwelt abgeschnitten: Seine Augen und Ohren liegen in Vertiefungen verborgen, deren Ränder sich durch Muskelkontraktion darüber dicht schliessen, und selbst die Nasenöffnungen am vorderen Ende des Oberschnabels sind abgeschottet. Wie kann dieses Tier dann überhaupt seine Beute ausfindig machen? 

Bild1 Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts war bekannt, dass die weiche Oberfläche des Schnabels mit Poren übersät ist und Enden sensibler Nervenfasern enthält. Neue Untersuchungen belegen inzwischen zwei Arten von Sinnesrezeptoren: berührungsempfindliche Mechanorezeptoren im Bereich einer stösselartigen Struktur sowie auf schwache elektrische Felder ansprechende Elektrorezeptoren im Bereich von Drüsenkanälen.

Es wurde ferner entdeckt, dass die bei Berührung der Stössel entstehenden Nervenimpulse in einem viel grösseren Areal der Neuhirnrinde (Neocortex) sogenannte evozierte Potentiale auslösen, als dies Impulse von den Gliedmassen, Augen und Ohren tun. Daraus kann man schliessen, dass der Schnabel das Hauptwahrnehmungsorgan sein muss. Untermauert wurde dies durch Untersuchungen, die zeigten, dass der Schnabel ausserordentlich empfindlich für Berührung ist.


Auszüge aus: Spektrum der Wissenschaft, Juli 1988, S. 76 - 83